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Lügen – im Alltag erlaubt?

Liebe Leserinnen und Leser!

Unseren Kindern sagen wir immer Sätze wie „Lügen haben kurze Beine“ oder „Vom Lügen bekommst du eine lange Nase!“ und erinnern damit an die kleine Holzfigur Pinocchio. Wir bringen unserem Nachwuchs also bei, immer bei der Wahrheit zu bleiben und erklären, dass Lügen etwas Schlechtes sind. Doch wenn wir mal ganz ehrlich sind, lügen wir selbst nicht selten. Allerdings geben wir der Lüge gerne einen anderen Namen, um sie auch vor uns selbst rechtfertigen zu können.

 

Lüge ist nicht gleich Lüge

Wenn wir eingeladen werden und eigentlich keine Lust haben, nutzen wir gerne eine Ausrede als kleine Notlüge. Werden wir mit einem Vorwurf konfrontiert, greifen wir nicht selten zu einer Schutzbehauptung, die uns spontan einfällt. Dinge, die andere Menschen verletzen könnten, lassen wir im Gespräch einfach aus. Und wer von uns hat früher in der Schule nicht bei einer Klassenarbeit oder einem Test einmal geschummelt?

Unwahrheiten und Lügen haben viele Facetten und jeder Mensch misst ihnen eine unterschiedliche Gewichtung bei. Während die einen ein wenig schummeln als nicht schlimm empfinden, fühlen sich andere durch ein strategisches Weglassen von Informationen schon betrogen. Was ein Opfer als dicke Lüge betrachtet, hält der Lügner in der Regel für eine Schwindelei oder ein Missverständnis. Schließlich wird niemand gerne beim Lügen erwischt. Die Grenzen, wann man eine Unwahrheit als Lüge mit boshaftem Charakter bezeichnet, sind sehr individuell.

Lügen zählen zu den sozialen Verhaltensweisen. Lügner möchten die Entdeckung ihrer Lüge tunlichst vermeiden. Und auch niemand wird gerne darüber Auskunft erteilen, wann, wie oft und in welchen Situationen selbst gelogen wird. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas „Lügen“ ist also fast unmöglich.

 

Warum lügen wir eigentlich?

Die kleinen Notlügen verwenden wir, wenn wir uns Vorteile verschaffen wollen oder zu etwas einfach gerade keine Lust haben. Gerne reden wir auch etwas an der Wahrheit vorbei, um uns selbst besser darzustellen. Wir flunkern, wenn wir neue Menschen kennenlernen und unsere Schokoladenseite zeigen wollen. Dann übertreiben wir bei unseren Vorzügen und verleugnen unsere Fehler. Manchmal lügen Menschen jedoch auch aus Bescheidenheit und Höflichkeit, um das Gegenüber nicht zu verletzen. Und nicht zuletzt greifen wir zur Unwahrheit, wenn es unangenehm ist oder weh tut, die Wahrheit zu sprechen. Und Wahrheit, das wissen wir alle, kann schmerzhaft sein und zu Konflikten führen.

Lügen werden jedoch auch aus Angst verwendet. Wenn wir uns unsicher fühlen, machen wir die Welt durch eine Unwahrheit ein wenig sicherer. Und sehr häufig belügen wir uns selbst, um uns beruhigen zu können. Wir beschönigen das Verhalten anderer, obwohl Kopf- und Bauchgefühl lautstark auf die Realität hinweisen.

Die Auswirkungen von Lügen sind genauso vielfältig wie die Unwahrheiten und Motive dafür selbst. In erster Linie betreffen sie zwischenmenschliche Kontakte wie Partner, Familienangehörige, Freunde, Verwandte, Nachbarn oder Vorgesetzte und Arbeitskollegen.

 

„Wer einmal lügt …

Lügen im Alltag… dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht!“ – diese Redewendung weist auf eine der größten Gefahren beim Lügen hin. Wer einmal beim Lügen ertappt worden ist, verliert an Glaubwürdigkeit. Geschieht dies zwischen Menschen, die einander wichtig sind, kann das bis dahin bestehende Vertrauensverhältnis negativ in Mitleidenschaft oder sogar völlig zerstört werden.

Handelt es sich bei der Täuschung nicht um ein kleines Flunkern oder Schummeln, sondern um eine große Lüge mit wichtigem Inhalt, bildet sich nahezu immer ein zunehmend unübersehbares Konstrukt. Lügner müssen ja nun fortwährend bei der von ihnen verbreiteten Realität verbleiben. Sie müssen sich merken, wem sie was erzählt haben. Deshalb sind sie ständig auf der Hut, wenn die jeweilige Thematik im Raume steht. Schließlich wollen sie ja nicht, dass ihr Betrug auffliegt und sie mit Konsequenzen rechnen müssen. Das kann sehr anstrengend sein und geht in der Regel irgendwann „nach hinten los“. Lügen schaffen nun mal keine Probleme aus der Welt, sondern vergrößern sie.

 

Unterschied zwischen Gut und Böse?

Grob unterschieden werden kann zwischen uneigennützigen und eigennützigen Lügen, wobei in beiden Gruppierungen positive und negative Wertungen möglich sind.

Stellen Sie sich einen Hausarzt vor, der überlegen muss, wie er seiner hochbetagten Patientin die aus der Untersuchung resultierende schlimme Diagnose übermittelt. Bleibt er vollumfänglich bei der Wahrheit, könnte seine Patientin die Hoffnung auf Genesung verlieren und eine Behandlung gefährden oder sogar verweigern. Ein uneigennützige „Verschweigen“ von Bestandteilen der Diagnose könnte also als Patienteninteresse gewertet werden.

Wenn aber fast erwachsene Kinder am Frühstückstisch auf Nachfrage der Eltern verschweigen, dass sie die halbe Nacht noch unterwegs waren, gilt dies als eigennützige Lüge, weil sie sonst noch „einen auf den Deckel“ bekommen könnten. Dennoch wird hier auch zur Unwahrheit gegriffen, um den Eltern im Nachhinein Sorgen zu ersparen. Das wiederum ist uneigennützig, was demonstriert, dass es mit dem „Gut“ und „Böse“ alles andere als einfach ist.

 

Die Folgen des Lügens

Wenn jemand bemerkt, dass er belogen worden ist, entstehen verschiedene Emotionen. Man hält sich selbst für naiv, zu gutgläubig und leicht hereinzulegen. Selbstzweifel machen sich breit. Dies, zumal die lügende Person ja wohl davon ausgegangen ist, dass man nicht mit der Wahrheit umgehen kann. Daraus ergeben sich Gedankengänge und Fragen, ob man von diesem Menschen früher schon einmal belogen wurde und was in der zwischenmenschlichen Beziehung überhaupt „echt“ war und ist. Belogen zu werden kann enorm verletzen und das Selbstwertgefühl nachhaltig schädigen. Das Vertrauen wird beeinträchtigt; auch anderen Menschen gegenüber.

Lügner leben fortan in dem Gedanken, dass die Lüge entdeckt werden könnte. Sie können nicht mehr unbefangen mit dem Menschen umgehen, den sie belogen haben. Lügner müssen stets aufmerksam sein, damit niemand einen Verdacht schöpft. Und wird die Lüge aufgedeckt, müssen Lügner mit den Konsequenzen leben. Auch das kann alles andere als schön sein.

 

Lügen in der Mediation

Im Mediationsverfahren kommt es sehr häufig zum Vorwurf, dass eine Partei lügt. Diese Vorwürfe basieren nicht immer auf Fakten, sondern auf emotionalen Tatsachen wie der Vortäuschung von Gefühlen. Würde ist immer um Fakten gehen, könnten Lügen schnell entlarvt werden. Gefühle aber lassen sich nicht durch Fakten belegen.

Lügen in der Mediation werden durch falsch vorgetragene Fakten und Emotionen enttarnt. Medianden sagen immer wieder dasselbe. Der Vortrag aus Sätzen und Begründungen wirkt wie auswendig gelernt. Bei gezielten Fragen wird nur wenig Hintergrund geliefert und auf Lücken in der Erinnerung verwiesen. Details werden fantasievoll ausgeschmückt. Entdeckt wird eine Lüge über den Kontext. Keine stimmigen Bilder, kaum zur Aussage passende Details und typische körperliche Reaktionen können auf eine Lüge hinweisen.

Im juristischen Bereich basiert der Vorsatz zur Täuschung auf der Kombination aus Wissen und Willen. Lügner müssen also wissen, dass sie eine Lüge erzählen und müssen dies auch wollen, um ihr Opfer zu täuschen. Im Zweifel entscheiden dann die Indizien. In der Mediation kommt es darauf aber gar nicht an. Es ist nahezu egal, ob das Behauptete eine Lüge war. Denn Menschen haben häufig unterschiedliche Sichten auf die gleichen Fakten und Konstrukte der Wirklichkeit.

Es kommt darauf an, wie man in der Zukunft das Vertrauen wieder herstellen kann. Und der Mediator muss herausfinden, welches Motiv sich hinter dem Vorwurf der Lüge verbirgt. Hinter dem Vorwurf einer Lüge versteckt sich eine Rückkopplung: Wenn die andere Partei lügt, so geht jeder davon aus, dass man selbst die Wahrheit spricht. Man wird selbst nicht in Frage gestellt. Die Mediation hat aber nicht das Ziel, herauszufinden, was in der Vergangenheit richtig oder falsch war. Sie zielt darauf ab, eine Lösung für die Zukunft zu kreieren. Geklärt werden muss ein Lügenkonstrukt also eigentlich nur, wenn dies für die Regelung der Zukunft und damit die Konfliktlösung relevant ist.

Mediatoren werden sich deshalb eher damit beschäftigen, warum der Vorwurf einer Lüge im Raume steht. Die Frage, ob jetzt tatsächlich eine Lüge vorliegt oder nicht, muss nicht zwingend geklärt werden. Mediatoren sind keine Richter über die eine gültige Wahrheit. Sie können den Beteiligten aber erklären, dass eine Wahrheit auch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann.

Bis zum nächsten Mal und bleiben Sie zuversichtlich!

Ihr Frank Hartung

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