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Kindeswohlgefährdung in der Mediation: Wann Mediatoren handeln müssen

Die Kindeswohlgefährdung in der Mediation stellt Mediatoren vor eine der schwierigsten ethischen und rechtlichen Herausforderungen ihres Berufs. Wenn Hinweise auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls während einer Familienmediation auftreten, gerät das Grundprinzip der Verschwiegenheit in Konflikt mit der moralischen und rechtlichen Verantwortung zum Schutz von Kindern.

Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes wurden 2023 in Deutschland 62.300 Verfahren zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung durch die Jugendämter durchgeführt – ein Anstieg von 1,6% gegenüber dem Vorjahr (Statistisches Bundesamt, 15.08.2024). Diese Zahlen verdeutlichen die gesellschaftliche Relevanz des Themas und unterstreichen, warum auch Mediatoren sich intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und praktischen Handlungsoptionen auseinandersetzen müssen.

 

Was ist das Kindeswohl und wann liegt eine Gefährdung vor?

Das Kindeswohl ist in rechtlichen Entscheidungen zentral und eine Gefährdung dessen liegt vor, wenn die Eltern eine ernste Gefahr für das Wohl des Kindes nicht abwenden können oder wollen.

Definition des Kindeswohls im rechtlichen Kontext

Das Kindeswohl ist der zentrale Maßstab aller Entscheidungen, die Kinder betreffen. Nach § 1666 BGB liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs definiert Kindeswohlgefährdung als "eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt" (BGH, Beschluss vom 23.11.2016, XII ZB 149/16).

Konkrete Indikatoren für Kindeswohlgefährdung

In der Mediationspraxis können verschiedene Warnsignale auf eine Kindeswohlgefährdung hindeuten:

Körperliche Gewalt und Vernachlässigung:

  • Berichte über körperliche Züchtigung oder Misshandlung
  • Hinweise auf Vernachlässigung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Hygiene, medizinische Versorgung)
  • Schilderungen von unbeaufsichtigten gefährlichen Situationen

Psychische Gewalt und emotionale Vernachlässigung:

  • Systematische Demütigung oder Einschüchterung des Kindes
  • Instrumentalisierung des Kindes im Elternkonflikt
  • Verweigerung emotionaler Zuwendung oder Unterstützung

Sexuelle Gewalt:

  • Direkte oder indirekte Hinweise auf sexuelle Übergriffe
  • Altersungemäßes Sexualverhalten des Kindes
  • Berichte über pornographische Inhalte oder sexualisierte Gewalt

 

Die Verschwiegenheitspflicht in der Mediation

Mediatoren unterliegen einer strikten Verschwiegenheitspflicht, die jedoch bei Kindeswohlgefährdung oder schweren Straftaten gegen Kinder durch gesetzliche Ausnahmen durchbrochen werden kann und muss.

Grundprinzipien der Vertraulichkeit

Die Verschwiegenheitspflicht ist zentral in der Mediation und gesetzlich durch § 4 MediationsG festgelegt. Mediatoren müssen alle Informationen vertraulich behandeln, die sie während ihrer Tätigkeit erhalten. Dies umfasst Inhalte der Gespräche, Informationen aus Einzelgesprächen, Dokumente sowie Beobachtungen zum Verhalten der Beteiligten. Diese Vertraulichkeit erlaubt es den Konfliktparteien, frei zu kommunizieren.

Grenzen und rechtliche Asunahmen der Verschwiegenheitspflicht

Trotz der grundsätzlichen Verschwiegenheitspflicht existieren gesetzlich definierte Ausnahmen, die insbesondere den Schutz von Kindern betreffen. Diese Ausnahmen sind in verschiedenen Gesetzen verankert und schaffen für Mediatoren sowohl Rechte als auch Pflichten.

Rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB

Der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGBDer rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB ermöglicht es Mediatoren, die Verschwiegenheitspflicht zu durchbrechen, wenn dies zum Schutz eines höherwertigen Rechtsguts erforderlich ist. Bei Kindeswohlgefährdung steht das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und gesunde Entwicklung über der Verschwiegenheitspflicht.

Voraussetzungen für den rechtfertigenden Notstand:

  • Gegenwärtige Gefahr für das Kindeswohl
  • Die Gefahr ist nicht anders abwendbar
  • Das geschützte Interesse (Kindeswohl) überwiegt das verletzte Interesse (Vertraulichkeit)
  • Angemessenheit der Mittel

Befugnisnorm nach § 4 Abs. 4 KKG

Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) schafft für bestimmte Berufsgruppen eine ausdrückliche Befugnis zur Informationsweitergabe. Obwohl Mediatoren nicht explizit in § 4 KKG genannt werden, können sie sich bei entsprechender Qualifikation auf diese Norm berufen.

Die Befugnisnorm erlaubt die Weitergabe von Informationen an das Jugendamt, wenn:

  • Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen
  • Die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann
  • Die Weitergabe erforderlich ist, um eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos zu ermöglichen

Strafprozessuale Auskunftspflichten

In Strafverfahren können Mediatoren unter bestimmten Umständen zur Aussage verpflichtet sein. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53a StPO gilt für Mediatoren nur eingeschränkt und schützt nicht vor der Aussagepflicht bei schweren Straftaten gegen Kinder.

 

Praktisches Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sind besonnenes Vorgehen, Dokumentation, externe Beratung und klare Kommunikation bis hin zur Meldung beim Jugendamt und Zusammenarbeit gefragt.

Erste Einschätzung und Dokumentation

Wenn während einer Mediation Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung auftreten, ist eine strukturierte Vorgehensweise erforderlich:

Sofortige Maßnahmen:

  1. Ruhe bewahren und professionelle Distanz wahren
  2. Keine vorschnellen Bewertungen oder Interpretationen
  3. Sorgfältige Dokumentation aller relevanten Informationen
  4. Zeitnahe Reflexion und Einschätzung der Situation

Dokumentationsstandards:

  • Datum, Uhrzeit und Anwesende bei relevanten Äußerungen
  • Wortlaut von Aussagen (möglichst im Originalton)
  • Beobachtete Verhaltensweisen und emotionale Reaktionen
  • Eigene Einschätzungen klar von Fakten trennen

Beratung und Unterstützung einholen

Mediatoren sollten sich nicht scheuen, externe Beratung in Anspruch zu nehmen:

Beratungsinstanzen:

  • Insoweit erfahrene Fachkraft (§ 8a SGB VIII)
  • Kinderschutzzentren und Beratungsstellen
  • Rechtsanwälte mit Spezialisierung auf Familienrecht
  • Kollegiale Beratung in Fachverbänden

Anonyme Beratungsmöglichkeiten:
Das Jugendamt bietet in der Regel anonyme Beratung für Fachkräfte an, die Hinweise auf Kindeswohlgefährdung haben. Diese Beratung ermöglicht eine erste Einschätzung, ohne die Verschwiegenheitspflicht zu verletzen.

Kommunikation mit den Medianden

Die Kommunikation über eine mögliche Kindeswohlgefährdung erfordert besondere Sensibilität:

Transparenz und Aufklärung:

  • Offene Kommunikation über die Grenzen der Verschwiegenheitspflicht
  • Erläuterung der rechtlichen Rahmenbedingungen
  • Gemeinsame Suche nach Lösungsmöglichkeiten

Gesprächsführung:

  • Nicht-konfrontative Ansprache der Problematik
  • Fokus auf das Kindeswohl als gemeinsames Ziel
  • Ermutigung zur freiwilligen Inanspruchnahme von Hilfen

Meldeverfahren und Zusammenarbeit mit dem Jugendamt

Wenn eine Meldung an das Jugendamt erforderlich wird, sollte diese strukturiert und vollständig erfolgen:

Inhalt der Meldung:

  • Personalien des Kindes und der Sorgeberechtigten
  • Konkrete Beschreibung der Anhaltspunkte für eine Gefährdung
  • Zeitliche Einordnung der Ereignisse
  • Bereits unternommene Schritte oder Hilfsangebote
  • Einschätzung der Dringlichkeit

Formale Anforderungen:
Die Meldung kann zunächst telefonisch erfolgen, sollte aber zeitnah schriftlich nachgereicht werden. Viele Jugendämter stellen hierfür standardisierte Meldebögen zur Verfügung.

Kooperation im Hilfeprozess

Nach einer Meldung kann das Jugendamt den Mediator als wichtige Informationsquelle in den Hilfeprozess einbeziehen:

Mögliche Formen der Zusammenarbeit:

  • Teilnahme an Hilfeplangesprächen
  • Unterstützung bei der Entwicklung von Schutzmaßnahmen
  • Fortsetzung der Mediation unter veränderten Rahmenbedingungen
  • Begleitung des Übergangs zu anderen Hilfsformen

 

Präventive Maßnahmen und Aufklärung

Eine transparente Aufklärung über Verschwiegenheitspflicht und ihre Grenzen sowie die Früherkennung von Risikofaktoren sind essentiell für jede Familienmediation, mit dem Kindeswohl als oberstes Ziel.

Aufklärung zu Beginn der Mediation

Eine transparente Aufklärung über die Grenzen der Verschwiegenheitspflicht sollte fester Bestandteil jeder Familienmediation sein:

Inhalte der Aufklärung:

  • Erläuterung der Verschwiegenheitspflicht und ihrer Grenzen
  • Information über Meldepflichten bei Kindeswohlgefährdung
  • Betonung des Kindeswohls als übergeordnetes Ziel
  • Zusicherung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit

Früherkennung und Sensibilisierung

Mediatoren können durch geschulte Wahrnehmung und gezielte Fragen frühzeitig Risikofaktoren erkennen:

Risikoindikatoren:

  • Hochstrittiger Elternkonflikt mit Instrumentalisierung der Kinder
  • Hinweise auf Gewalt in der Partnerschaft
  • Suchtproblematik oder psychische Erkrankungen der Eltern
  • Soziale Isolation oder extreme Belastungssituationen

 

Fortbildung und Qualifikation für Mediatoren

Der Umgang mit Kindeswohlgefährdung erfordert spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten:

Fachliche Kompetenzen:

  • Kenntnisse im Kinderschutzrecht
  • Grundlagen der Entwicklungspsychologie
  • Traumapädagogische Ansätze
  • Gesprächsführung in Krisensituationen

Rechtliche Kenntnisse:

  • Aktuelle Rechtsprechung zum Kindesschutz
  • Verfahrensabläufe in der Jugendhilfe
  • Zusammenspiel verschiedener Hilfesysteme
  • Dokumentations- und Meldepflichten

Kontinuierliche Weiterbildung

Der Bereich Kinderschutz unterliegt ständigen Entwicklungen, die eine kontinuierliche Fortbildung erfordern:

Weiterbildungsformate:

  • Spezialisierte Seminare zum Kinderschutz in der Mediation
  • Interdisziplinäre Fortbildungen mit Jugendämtern
  • Supervision und kollegiale Beratung
  • Teilnahme an Fachtagungen und Kongressen

 

Fazit und Handlungsempfehlungen

Der Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Mediation erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Vertraulichkeit und Schutzauftrag. Mediatoren tragen eine besondere Verantwortung, da sie oft frühzeitig Einblicke in familiäre Dynamiken erhalten, die für das Kindeswohl relevant sein können.

Zentrale Handlungsempfehlungen:

  1. Präventive Aufklärung:
    Informieren Sie Medianden bereits zu Beginn über die Grenzen der Verschwiegenheitspflicht bei Kindeswohlgefährdung.
  2. Professionelle Haltung:
    Bewahren Sie bei Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung Ruhe und dokumentieren Sie sorgfältig, ohne vorschnell zu bewerten.
  3. Beratung nutzen:
    Scheuen Sie sich nicht, externe Beratung in Anspruch zu nehmen – auch anonyme Beratung ist möglich und hilfreich.
  4. Kooperative Lösungen:
    Versuchen Sie gemeinsam mit den Medianden Wege zu finden, wie das Kindeswohl geschützt werden kann, ohne die Mediation zu beenden.
  5. Kontinuierliche Fortbildung:
    Halten Sie Ihre Kenntnisse im Kinderschutzrecht und in der Gesprächsführung bei Krisensituationen aktuell.

Die Kindeswohlgefährdung in der Mediation bleibt ein komplexes Thema, das sowohl rechtliches Verständnis als auch empathische Kommunikationsfähigkeiten erfordert. Durch eine professionelle Herangehensweise können Mediatoren einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Kindern leisten, ohne ihre Rolle als neutrale Vermittler grundsätzlich aufzugeben.

 

Quellen:

  • Statistisches Bundesamt (15.08.2024): Kinder- und Jugendhilfe - Gefährdungseinschätzungen nach § 8a Absatz 1 SGB VIII
  • BGH, Beschluss vom 23.11.2016, XII ZB 149/16
  • Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (MediationsG)
  • Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)

Letzte Aktualisierung am 18. 09. 2024.

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