| Deeskalation | Deeskalation zielt darauf ab, Konflikte und Aggressionen zu entschärfen, bevor sie eskalieren. Sie umfasst Maßnahmen und Strategien wie Kommunikationstechniken und Kompromissfindung, um Konfliktsituationen zu beruhigen und gewaltfreie Lösungen zu fördern. Deeskalation wird in Bereichen wie Mediation, Coaching, Psychologie und Pädagogik eingesetzt. Grundlagen und konzeptionelle Fundierung der DeeskalationDeeskalation ist in deutschsprachigen Ländern ein Fachgebiet, das professionelle Fähigkeiten im Umgang mit Aggression und Gewalt umfasst. Es geht nicht nur um akute Gefahrensituationen, sondern findet auf verschiedenen Ebenen Anwendung. - Deeskalierendes Arbeiten zielt darauf ab, Aggressionen von vornherein zu vermeiden, durch beruhigende Gespräche mit angespannten Personen zu deeskalieren, konfliktfrei zu lösen und auch bei Zwangsmaßnahmen human vorzugehen. Die Grundlagen der Deeskalation basieren auf Psychologie, Kommunikationswissenschaften und Konfliktforschung.
- Aggressive Verhaltensweisen sind ein Ausdruck innerer Not und erfordern professionelle Unterstützung. Diese Sichtweise sieht Aggression nicht als Bedrohung oder Fehlverhalten, sondern als Kommunikationsversuch und Signal für unerfüllte Bedürfnisse.
- Die Kunst der verbalen Deeskalation liegt darin, aggressive oder erregte Äußerungen eines Menschen als Ausdruck seiner inneren Not zu verstehen. Dazu muss man die Fähigkeit besitzen, Perspektiven zu übernehmen und verschiedene Kommunikationsebenen zu unterscheiden. Das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun ist dabei relevant: Wer auf dem "Selbstoffenbarungsohr" hören kann, nimmt Äußerungen nicht persönlich, sondern erkennt den dahinterliegenden Frust, die innere Not, die milieubedingte Ausdrucksweise, Existenzängste oder das Gefühl der Ohnmacht in der aktuellen Situation.
- Das Konzept des Professionellen Deeskalationsmanagements (ProDeMa) ist ein praxisorientierter Ansatz zur Prävention und Intervention bei Aggressionen, der in über 2500 Einrichtungen im deutschsprachigen Raum und Italien angewandt wird. ProDeMa basiert auf einem Stufenmodell, das verschiedene Stadien der Aggressionsentwicklung systematisch berücksichtigt.
Theoretische Modelle und Stufensysteme der DeeskalationDie systematische Beschäftigung mit Deeskalation führte zur Entwicklung von Modellen wie dem ProDeMa-Konzept. Dieses Konzept umfasst sechs Stufen des professionellen Deeskalationsmanagements und deckt den gesamten Prozess von Prävention bis Nachsorge ab. Die Stufen sind wichtig für den optimalen Umgang mit Gewalt und Aggression und richten sich nach dem Entwicklungsstadium der Aggression. - Die erste Deeskalationsstufe zielt darauf ab, aggressionsfördernde Reize zu verhindern oder zu reduzieren und stellt somit eine vorbeugende Maßnahme dar. Reize, die Aggressionen auslösen, entstehen oft durch schlechte Rahmenbedingungen wie unzureichende Räumlichkeiten oder Ausstattung sowie Organisationsmängel wie lange Wartezeiten oder fehlende Ansprechpartner, inklusive Mangel an Dolmetschern. Auch das Verhalten von Mitarbeitenden, wie ungenügende Erklärungen oder mangelnde Geduld und Empathie, kann zu Aggressionen führen.
- Die zweite Deeskalationsstufe befasst sich mit der Änderung von Ansichten und Deutungen aggressiven Verhaltens und fokussiert auf die berufliche Haltung und kognitive Evaluationsmuster der Fachkräfte.
- Die dritte Stufe beschäftigt sich mit dem Verständnis von Gründen für aggressives Verhalten, wobei zwischen Aggression als Reaktion auf Angst und Bedrohung und als Kommunikationsmittel bei Beziehungsproblemen unterschieden wird.
Die Ampelmethode ist ein alternatives Modell für Deeskalationsprozesse in der Sozialarbeit. Sie unterteilt Konfliktsituationen in drei Phasen: Grün, Gelb und Rot, die jeweils bestimmte Verhaltensweisen und Techniken erfordern, um Konflikte zu entschärfen oder Eskalationen zu verhindern. - In der grünen Phase herrscht eine ruhige Atmosphäre, in der alle Teilnehmer entspannt sind und eine offene, respektvolle Kommunikation pflegen. Es ist wichtig, aktiv zuzuhören, Empathie zu zeigen und konstruktive Gesprächstechniken wie Ich-Botschaften und aktives Zuhören einzusetzen. Kommunikation soll auf Augenhöhe erfolgen, wobei Augenkontakt und nonverbale Signale beachtet werden sollten.
- Die gelbe Phase der Ampelmethode steht für steigende Spannung und erste Frustrations- oder Ärgersignale. In dieser Phase sollte die Situation ernst genommen und Gefühle des Gegenübers anerkannt werden, ohne sie zu bewerten.
- Die rote Phase beschreibt den eskalierten Konflikt mit intensiven Emotionen. Um die Kontrolle zu bewahren, sind klare und kurze Anweisungen nötig, ohne belehrend zu sein.
Grundprinzipien und Grundregeln professioneller DeeskalationDie Deeskalationspraxis basiert auf Grundprinzipien und Regeln, die Fachkräften in Konfliktsituationen als Leitfaden dienen. Das Institut ProDeMa hat zwölf Grundregeln formuliert, die auf evidenzbasierten Best Practices beruhen: - Die erste Regel "Wehret den Anfängen" betont die Wichtigkeit, deeskalierende Maßnahmen frühzeitig zu beginnen, um Situationen besser bewältigen zu können. Frühwarnsignale für hohe Anspannung sind unter anderem psychomotorische Erregung, Unruhe, Körperspannung, verzerrte Gesichtszüge, verkrampfte Hände, Schwitzen, starren Blick und laute Stimme. Frühzeitige Interventionen führen zu Ruhe und Entspannung bei Betreuern und Klienten.
- Die zweite Grundregel für professionelle Deeskalation betont die Wichtigkeit der eigenen Sicherheit. Fachkräfte sollten sich selbst realistisch einschätzen und mindestens eine Armlänge Abstand zum Gegenüber halten, um Risiken physischer Übergriffe zu minimieren. Selbstschutz ist eine notwendige Voraussetzung für professionelles Handeln in helfenden Berufen.
- Die dritte Regel zur Deeskalation ist, Schaulustige zu entfernen, da Zuschauer Konflikte verschärfen können.
- Die vierte Regel betont die Wichtigkeit der Selbstberuhigung für Fachkräfte, die sich zuerst selbst deeskalieren müssen. Eine Technik dafür ist das Ausatmen, tiefes Durchatmen, den Blick abwenden und einige Schritte zurückgehen, um Abstand zu gewinnen.
- Die fünfte Grundregel empfiehlt, dass gestresste Personen nur einen einzelnen Ansprechpartner haben sollten, um Verwirrung und zusätzlichen Stress zu vermeiden.
- Die sechste Grundregel betont die Bedeutung der Körpersprache, Mimik, Gestik und Stimme für eine entspannte Situation.
- Die siebte Regel rät, angemessenen Augenkontakt zu halten.
- Die achte Grundregel empfiehlt, in der Kommunikation auf Kontrolle über die andere Person zu verzichten und stattdessen eine Lösung zu suchen, die für alle akzeptabel ist. Es geht darum, die Situation zu steuern, nicht den Gesprächspartner.
- Die neunte Grundregel besagt, dass man sich nicht durch verbale Aggression provozieren lassen oder sich persönlich angegriffen fühlen sollte. Stattdessen sollte man erkennen, dass solche Äußerungen oft Ausdrücke von Frustration, innerem Leid oder Gefühlen der Ohnmacht sind.
- Die zehnte Grundregel besagt, dass man Provokationen und Drohungen vermeiden sollte.
- Die elfte Grundregel unterstreicht die Wichtigkeit von Wertschätzung für die Deeskalation.
- Die zwölfte Grundregel betont die Wichtigkeit, eigene Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen und zu verstehen, um das eigene Verhalten zu reflektieren.
Zusammen bilden die Regeln ein kohärentes Konzept, das Einstellungen und Verhaltensweisen berücksichtigt. Verbale Kommunikation als Kerntechnik der DeeskalationVerbale Kommunikation ist das Hauptmittel zur Deeskalation in schwierigen Situationen. Es ist wichtig, sowohl ihre Möglichkeiten als auch ihre Grenzen zu verstehen, um physische Gewalt zu vermeiden. - Ein wichtiges Prinzip der verbalen Deeskalation ist es, Wertschätzung auszudrücken und empathisch auf die Gefühle und Erlebnisse des Gegenübers einzugehen. Empathie gegenüber einem aggressiven Menschen kann die Situation entspannen, indem man ihm das Gefühl gibt, akzeptiert zu werden, was die Bereitschaft zur Zusammenarbeit steigern kann. Fachbegriffe sollten dabei vermieden werden, um Überforderung zu vermeiden.
- Kommunikationstüröffner sind wichtig für den Dialog, da sie keine Bewertungen enthalten und den Austausch fördern. Beispiele sind "Wirklich?", "Interessant!" oder "Ah!". Kommunikationskiller, die negativ bewerten oder Vorwürfe machen, sollten vermieden werden, da sie den Gesprächsfluss stören.
- Aktives Zuhören ist eine wichtige Methode der verbalen Deeskalation. Es geht darum, eher zuzuhören als zu diskutieren. Durch passives Zuhören fühlt sich der Sprechende akzeptiert und kann sich entladen, wobei der Zuhörer durch Gesten wie Kopfnicken reagiert. Aktives Zuhören bedeutet, dass Nachrichten wirklich verstanden werden, ohne Fehlinterpretation oder Bewertung. Das Nichtunterbrechen und aufmerksame Zuhören baut Vertrauen auf und vermeidet die Verschärfung von Konflikten durch Missverständnisse.
- Die Technik der offenen Fragen ist wesentlich für erfolgreiche verbale Deeskalation. Durch diese Fragen bleibt das Gespräch aktiv, es werden Fakten geklärt und Einsichten gewonnen. Offene Fragen verhindern emotionale Eskalation und halten das Problem auf einer sachlichen Ebene. Sie ermöglichen es den Personen, ohne Gesichtsverlust zu antworten.
Der Prozess verbaler Deeskalation lässt sich in verschiedene Schritte gliedern, die aufeinander aufbauen. - Die Kontaktaufnahme bildet den ersten Schritt und erfordert besondere Achtsamkeit hinsichtlich der Anzeichen drohender Eskalationen.
- Der Kontaktaufbau umfasst Wahrnehmung, Widerspiegelung und Fragen.
- Die Konkretisierung der Ursachen und Beweggründe bildet einen weiteren Schritt, in dem es darum geht, die Hintergründe des Verhaltens zu verstehen.
- Das Eingehen auf die Gefühle und Bedürfnisse der Person durch das Zeigen echten Interesses, das Machen von Angeboten und das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen stellt einen zentralen Moment des deeskalierenden Gesprächs dar.
Während verbale Techniken eine zentrale Rolle spielen, kommt der nonverbalen Kommunikation in Deeskalationsprozessen mindestens ebenso große Bedeutung zu. - Die eigene Körpersprache, Mimik, Gestik und Stimme müssen richtig eingesetzt werden, um deeskalierend zu wirken.
- Professionelle sollten in aggressiven Situationen gelassen und selbstsicher bleiben, Selbstkontrolle bewahren und ihre Körpersprache sowie Ausdrucksweise beachten. Dies erfordert viel Selbstreflexion und Übung.
- Räumliche Distanz ist ein wichtiger Aspekt der nonverbalen Deeskalation. Ein Schritt zurück oder das Verlassen des Raumes können eine aggressive Situation entspannen. Zu großer Nähe zu einer aggressiven Person sollte vermieden werden, um Bedrängnis und potentielle Gewalt zu verhindern.
- Augenkontakt ist wichtig für die Präsenz und Aufmerksamkeit in der Kommunikation, sollte aber dosiert eingesetzt werden, um nicht als Bedrohung zu wirken.
- Eine offene Körperhaltung ist wichtig und signalisiert Gesprächsbereitschaft. Verschränkte Arme wirken abweisend, während eine offene Armhaltung Offenheit zeigt. Eine aufrechte Körperhaltung steht für Selbstbewusstsein und Stabilität, sollte jedoch nicht zu starr wirken.
- Die Stimme und Sprechweise sind wichtige Aspekte nonverbaler Kommunikation bei der Deeskalation. Veränderungen in Lautstärke, Tempo und Tonhöhe können beruhigen oder die Situation verschärfen.
Anwendung der Deeskalation in Mediation und CoachingDeeskalationstechniken werden vermehrt in Mediation und Coaching eingesetzt, da sie für die Konfliktbearbeitung und die Entwicklung von Lösungen wesentlich sind. Deeskalation in der MediationIn der Mediation ist die Deeskalationsfähigkeit sehr wichtig. Mediatoren müssen oft mit stark emotionalen und eskalierten Konflikten umgehen, bei denen die Kommunikation zwischen den Parteien oft schon zusammengebrochen ist. Die Ampelmethode ist dabei ein hilfreiches Werkzeug, da sie zeigt, in welcher Eskalationsphase sich ein Konflikt befindet und welche Interventionen sinnvoll sind. - In der grünen Phase können Mediatoren durch aktives Zuhören, Empathie und konstruktive Gesprächstechniken, wie Ich-Botschaften, präventiv für eine konstruktive Konfliktlösung sorgen. Die Kommunikation sollte auf Augenhöhe sein und auf die Suche nach Lösungen ausgerichtet sein, statt Schuldige zu suchen.
- In der gelben Phase der Mediation ist es wichtig, dass Mediatoren die steigende Spannung und Frustration ernst nehmen, die Gefühle der Konfliktparteien anerkennen und benennen, ohne sie zu bewerten oder zu kritisieren.
- In der roten Phase eines Konflikts sollten Mediatoren klare und kurze Anweisungen geben, um die Situation zu beruhigen. Sie dürfen keine langen belehrenden Reden halten. Entspannungsmaßnahmen wie Pausen, Wasser oder das Lüften des Raums können hilfreich sein. Es kann auch sinnvoll sein, das Gespräch zu unterbrechen und den Ort zu wechseln.
Deeskalation im CoachingIm Coaching-Kontext sind Deeskalationsfähigkeiten wichtig, da Coaches oft mit inneren Konflikten ihrer Klienten oder deren Konflikten im beruflichen oder privaten Bereich umgehen müssen. Die Reflexion und Entwicklung der Führungsrolle ist das häufigste Thema im Coaching, gefolgt vom Konfliktmanagement. - In der Anwendung von Deeskalationstechniken im Coaching ist es wichtig, an der inneren Einstellung des Klienten zu arbeiten. Klienten lernen, Äußerungen als Ausdruck von Frustration oder Angst zu verstehen, statt sie persönlich zu nehmen. Coaches unterstützen diesen wichtigen Lernprozess der Perspektivenübernahme und kognitiven Umstrukturierung.
- Die gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg ist ein effektives Konzept für Mediation und Coaching. Sie hilft Menschen, einfühlsam mit sich selbst und anderen zu kommunizieren und fördert das Bewusstsein für persönliche Muster, um positive Veränderungen zu schaffen und berührende Begegnungen zu ermöglichen.
Aus- und Weiterbildung in DeeskalationIm deutschsprachigen Raum hat sich ein vielfältiges Angebot an Deeskalationstrainings entwickelt. Diese Trainings, die sich oft an Berufsgruppen wie Polizei, Sicherheitspersonal, Sozialarbeiter, Lehrer und Pflegekräfte richten, vermitteln Strategien zur effektiven Konfliktbewältigung. - Organisationen wie das Institut ProDeMa und Deeskalation Deutschland bieten seit Jahren praxisorientierte Seminare und Trainings an.
- Es gibt zudem viele Angebote zur Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Die Trainings beinhalten Primärprävention, um Gewalt und Aggression vorzubeugen, kommunikative Deeskalationstechniken (Sekundärprävention) und kollegiale Erstbetreuung nach traumatischen Ereignissen (Tertiärprävention).
Evaluationen zeigen positive Effekte der Trainings auf Selbstvertrauen, Kommunikationsfähigkeit und Stressreduktion bei Teilnehmenden sowie eine Abnahme von Gewaltvorfällen in Organisationen. Die Zukunft der Deeskalationsausbildung sieht weitere Professionalisierung und Spezialisierung, den Einsatz digitaler Lernformate und die Integration von Deeskalationskompetenzen in verschiedene Ausbildungsgänge vor. FazitDeeskalation bezeichnet das professionelle Vorgehen zur Vermeidung und Entschärfung von Aggression und Konflikten. Sie basiert auf psychologischen Methoden und Kommunikationstechniken und wird in Bereichen wie Mediation, Coaching und Sozialarbeit angewendet. Aggressives Verhalten wird als Ausdruck von innerer Not und Kommunikationsversuch verstanden. Zentrale Aspekte sind verbale Techniken wie aktives Zuhören, Empathie und offene Fragen sowie eine angemessene nonverbale Kommunikation. Deeskalationsfähigkeiten sind für die Konfliktbewältigung in Mediation und Coaching essenziell. Diverse Trainingsprogramme bieten Fachkräften die Möglichkeit, sich in Deeskalation fortzubilden. Synonyme:
deeskalatieren
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