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Sechs-Schritte-Modell

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BegriffDefinition
Sechs-Schritte-Modell

Das Sechs-Schritte-Modell ist ein systematischer Ansatz zur Konfliktlösung, basierend auf der Harvard-Verhandlungsforschung und angepasst für deutsche Mediation. Es gliedert den Mediationsprozess in sechs Phasen für eine nachhaltige Lösung und beruht auf Systemtheorie und Kommunikationspsychologie. Konflikte werden im Kontext der Beteiligten und deren Umfeld betrachtet, was es von anderen Ansätzen unterscheidet. Studien, darunter eine Langzeitstudie der Universität Heidelberg, zeigen, dass strukturierte Verfahren die Erfolgschancen einer Einigung deutlich erhöhen.

 

Funktionsweise und die sechs Kernphasen

  1. Phase: Auftragsklärung und Rahmengestaltung
    Die erste Phase konzentriert sich auf die Schaffung eines sicheren und strukturierten Rahmens für den Mediationsprozess. Hier werden grundlegende Vereinbarungen getroffen, Erwartungen geklärt und die Spielregeln für die Zusammenarbeit definiert. Der Mediator erläutert seine Rolle, das Verfahren und stellt sicher, dass alle Beteiligten freiwillig und informiert am Prozess teilnehmen.
    Besondere Aufmerksamkeit gilt der Vertraulichkeitsvereinbarung und der Klärung der Entscheidungsbefugnis der Konfliktparteien. Diese Phase legt das Fundament für alle weiteren Schritte und ist entscheidend für den Gesamterfolg der Mediation.

  2. Phase: Themensammlung und Strukturierung
    In der zweiten Phase werden alle relevanten Konfliktthemen systematisch erfasst und strukturiert. Dabei geht es nicht um die sofortige Bewertung oder Lösung der Probleme, sondern um eine vollständige Bestandsaufnahme. Die Konfliktparteien erhalten die Möglichkeit, ihre Sichtweise ungestört darzustellen.
    Der Mediator nutzt verschiedene Techniken wie das Brainstorming oder die Themenliste, um sicherzustellen, dass keine wichtigen Aspekte übersehen werden. Gleichzeitig erfolgt eine erste Priorisierung der Themen nach Dringlichkeit und Bedeutung für die Beteiligten.

  3. Phase: Interessens- und Bedürfniserkundung
    Die dritte Phase gilt als Herzstück des Sechs-Schritte-Modells. Hier werden die hinter den Positionen liegenden Interessen und Bedürfnisse der Konfliktparteien erarbeitet. Diese Unterscheidung zwischen Positionen (was jemand fordert) und Interessen (warum jemand etwas fordert) ist fundamental für das Verständnis des Konflikts.
    Durch gezielte Fragetechniken und empathisches Zuhören hilft der Mediator dabei, die wahren Beweggründe und Motivationen zu verstehen. Oft zeigt sich in dieser Phase, dass scheinbar unvereinbare Positionen auf durchaus kompatiblen Grundbedürfnissen basieren.

  4. Phase: Kreative Lösungssuche
    In der vierten Phase steht die gemeinsame Entwicklung von Lösungsoptionen im Vordergrund. Dabei wird bewusst zwischen der Ideenfindung und der Bewertung getrennt. Zunächst sammeln alle Beteiligten kreativ mögliche Lösungsansätze, ohne diese sofort zu bewerten oder zu kritisieren.
    Verschiedene Kreativitätstechniken wie das Brainstorming, die Methode 6-3-5 oder Szenario-Techniken kommen zum Einsatz. Ziel ist es, ein möglichst breites Spektrum an Handlungsoptionen zu entwickeln, die später systematisch bewertet werden können.

  5. Phase: Bewertung und Verhandlung
    Die fünfte Phase widmet sich der systematischen Bewertung der entwickelten Lösungsoptionen. Hier werden die verschiedenen Vorschläge anhand objektiver Kriterien wie Machbarkeit, Kosten, Zeitaufwand und Akzeptanz bei allen Beteiligten bewertet.
    Der Mediator unterstützt die Parteien dabei, faire und objektive Bewertungskriterien zu entwickeln und anzuwenden. Gleichzeitig beginnt der eigentliche Verhandlungsprozess, in dem aus den verschiedenen Optionen eine tragfähige Lösung entwickelt wird.

  6. Phase: Vereinbarung und Umsetzungsplanung
    Die abschließende sechste Phase konzentriert sich auf die Konkretisierung der gefundenen Lösung und die Planung ihrer praktischen Umsetzung. Hier werden verbindliche Vereinbarungen getroffen, Verantwortlichkeiten geklärt und Kontrollmechanismen etabliert.
    Besondere Aufmerksamkeit gilt der präzisen Formulierung der Vereinbarung, um spätere Missverständnisse zu vermeiden. Zusätzlich werden Mechanismen für die Überprüfung der Umsetzung und für den Umgang mit eventuell auftretenden Problemen festgelegt.

 

Verschiedene Arten und Varianten des Modells

  1. Klassisches Sechs-Schritte-Modell
    Das klassische Modell folgt strikt der beschriebenen Phasenfolge und eignet sich besonders für komplexere Konflikte mit mehreren Beteiligten. Es zeichnet sich durch seine Gründlichkeit und Systematik aus, benötigt jedoch entsprechend Zeit und Ressourcen.
  2. Verkürzte Varianten
    Für weniger komplexe Konflikte oder zeitlich begrenzte Settings haben sich verkürzte Varianten bewährt. Dabei werden einzelne Phasen zusammengefasst oder verkürzt, ohne die grundlegende Struktur aufzugeben. Besonders in der Organisationsmediation kommen solche angepassten Versionen zum Einsatz.
  3. Digitale Adaptionen
    Mit der zunehmenden Digitalisierung haben sich auch Online-Varianten des Sechs-Schritte-Modells entwickelt. Diese nutzen digitale Tools für die Visualisierung, Dokumentation und Kommunikation, ohne die grundlegende Methodik zu verändern. Studien zeigen, dass digitale Mediationen bei entsprechender technischer Ausstattung ähnliche Erfolgsquoten erzielen wie Präsenzverfahren.

 

Zentrale Vorteile des systematischen Ansatzes

  1. Strukturierte Herangehensweise
    Der größte Vorteil des Sechs-Schritte-Modells liegt in seiner klaren Struktur, die sowohl Mediatoren als auch Konfliktparteien Orientierung bietet. Diese Systematik reduziert die Gefahr, wichtige Aspekte zu übersehen oder in emotional aufgeladenen Situationen den Überblick zu verlieren.
  2. Nachvollziehbarkeit und Transparenz
    Durch die klar definierten Phasen wird der Mediationsprozess für alle Beteiligten transparent und nachvollziehbar. Dies erhöht das Vertrauen in das Verfahren und die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit.
  3. Qualitätssicherung
    Das strukturierte Vorgehen ermöglicht eine bessere Qualitätskontrolle und -sicherung. Mediatoren können ihre Arbeit systematisch reflektieren und kontinuierlich verbessern. Gleichzeitig erleichtert es die Ausbildung neuer Mediatoren und die Standardisierung von Mediationsverfahren.
  4. Erhöhte Erfolgsquote
    Empirische Untersuchungen belegen, dass die Anwendung strukturierter Modelle wie des Sechs-Schritte-Modells die Erfolgsquote von Mediationen signifikant erhöht. Eine aktuelle Studie der Fernuniversität Hagen aus dem Jahr 2024 zeigt eine Steigerung der Einigungsrate um 23% bei Verwendung des Modells.

 

Anwendungsbereiche in der Mediation

  • Familienmediation
    In der Familienmediation bewährt sich das Sechs-Schritte-Modell besonders bei Trennungs- und Scheidungsverfahren. Die strukturierte Herangehensweise hilft dabei, emotionale Aspekte von sachlichen Regelungen zu trennen und nachhaltige Lösungen für alle Beteiligten, insbesondere für gemeinsame Kinder, zu finden.
  • Wirtschaftsmediation
    Bei Konflikten zwischen Unternehmen oder innerhalb von Organisationen bietet das Modell einen professionellen Rahmen für die Bearbeitung komplexer wirtschaftlicher Streitigkeiten. Besonders bei Vertragsstreitigkeiten oder Gesellschafterkonflikten zeigt sich die Stärke des systematischen Ansatzes.
  • Nachbarschaftsmediation
    Auch in der Nachbarschaftsmediation, etwa bei Lärmkonflikten oder Grenzstreitigkeiten, ermöglicht das Sechs-Schritte-Modell eine sachliche und lösungsorientierte Bearbeitung oft langjähriger Konflikte.
  • Arbeitsplatzmediation
    Bei Konflikten am Arbeitsplatz, sei es zwischen Kollegen oder zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, bietet das Modell einen strukturierten Weg zur Wiederherstellung einer funktionsfähigen Arbeitsbeziehung.

 

Einsatz im Coaching-Bereich

  • Konfliktcoaching
    Im Einzelcoaching nutzen Coaches das Sechs-Schritte-Modell, um Klienten bei der systematischen Bearbeitung ihrer Konflikte zu unterstützen. Dabei wird das Modell entsprechend angepasst, da nur eine Konfliktpartei direkt beteiligt ist.
  • Teamcoaching
    Bei Teamkonflikten ermöglicht das Modell eine strukturierte Herangehensweise, die alle Teammitglieder einbezieht und zu nachhaltigen Verbesserungen der Zusammenarbeit führt.
  • Führungskräfteentwicklung
    In der Führungskräfteentwicklung vermittelt das Sechs-Schritte-Modell wichtige Kompetenzen für den konstruktiven Umgang mit Konflikten im beruflichen Kontext. Führungskräfte lernen, wie sie strukturiert und systematisch Konflikte in ihrem Verantwortungsbereich bearbeiten können.

 

Chancen und Risiken bei der praktischen Anwendung

  • Chancen für nachhaltige Konfliktlösung
    Das Sechs-Schritte-Modell bietet die Chance, Konflikte nicht nur oberflächlich zu lösen, sondern die zugrundeliegenden Ursachen zu bearbeiten. Dies führt zu nachhaltigeren Lösungen und reduziert die Wahrscheinlichkeit erneuter Konflikte zwischen den Parteien.
  • Kompetenzentwicklung der Beteiligten
    Durch die strukturierte Herangehensweise entwickeln die Konfliktparteien selbst Kompetenzen im Umgang mit Konflikten. Sie lernen, zwischen Positionen und Interessen zu unterscheiden und kreative Lösungen zu entwickeln.
  • Risiko der Überstrukturierung
    Ein mögliches Risiko liegt in der zu starren Anwendung des Modells. Wenn Mediatoren oder Coaches zu schematisch vorgehen, kann dies die natürliche Dynamik des Konfliktlösungsprozesses behindern und zu künstlichen oder oberflächlichen Lösungen führen.
  • Zeitaufwand und Ressourcenbedarf
    Das vollständige Durchlaufen aller sechs Phasen erfordert Zeit und Ressourcen. In manchen Situationen kann dies zu aufwendig sein oder die Bereitschaft der Beteiligten übersteigen.
  • Kulturelle Anpassungsnotwendigkeiten
    Das ursprünglich im westlichen Kulturkreis entwickelte Modell muss bei der Anwendung in anderen kulturellen Kontexten entsprechend angepasst werden, um kulturspezifische Kommunikationsmuster und Konfliktverständnisse zu berücksichtigen.

 

Grenzen des Modells und kritische Reflexion

  1. Strukturelle Grenzen
    Das Sechs-Schritte-Modell stößt an seine Grenzen, wenn grundlegende Voraussetzungen für eine Mediation nicht gegeben sind. Dazu gehören extreme Machtungleichgewichte zwischen den Parteien, akute Gewaltbereitschaft oder die völlige Verweigerung einer Konfliktpartei zur Zusammenarbeit.
  2. Komplexitätsgrenzen
    Bei sehr komplexen Konflikten mit vielen Beteiligten und verschachtelten Problemebenen kann das lineare Vorgehen des Modells an seine Grenzen stoßen. Hier sind oft iterative oder parallel verlaufende Prozesse erforderlich.
  3. Grenzen der Allgemeingültigkeit
    Nicht alle Konfliktsituationen eignen sich für die Anwendung des Sechs-Schritte-Modells. Rechtliche Konflikte, die einer eindeutigen juristischen Klärung bedürfen, oder Konflikte mit erheblichen ethischen Dimensionen erfordern oft andere Herangehensweisen.
  4. Ausbildungs- und Kompetenzanforderungen
    Die professionelle Anwendung des Modells setzt eine fundierte Ausbildung und kontinuierliche Weiterbildung voraus. Oberflächliche Anwendung ohne entsprechende Qualifikation kann zu unbefriedigenden oder sogar schädlichen Ergebnissen führen.

 

Praktische Handlungsempfehlungen für die Anwendung

  1. Vorbereitung und Planung
    Eine sorgfältige Vorbereitung ist entscheidend für den Erfolg. Dazu gehört die Analyse der Konfliktsituation, die Einschätzung der Eignung des Modells und die entsprechende Zeitplanung. Mediatoren sollten sich ausreichend Zeit für jede Phase einräumen und flexibel auf unvorhergesehene Entwicklungen reagieren können.
  2. Anpassung an die spezifische Situation
    Das Modell sollte immer an die spezifischen Gegebenheiten der Konfliktsituation angepasst werden. Dies kann bedeuten, einzelne Phasen zu verkürzen, zu erweitern oder in ihrer Reihenfolge zu verändern, ohne die grundlegende Struktur aufzugeben.
  3. Dokumentation und Nachverfolgung
    Eine systematische Dokumentation des Prozesses und der Ergebnisse ist wichtig für die Qualitätssicherung und die Nachverfolgung der Umsetzung. Dabei sollten sowohl der Prozessverlauf als auch die inhaltlichen Ergebnisse festgehalten werden.
  4. Kontinuierliche Weiterbildung
    Praktiker sollten sich kontinuierlich weiterbilden und ihre Erfahrungen mit dem Modell reflektieren. Der Austausch mit Kollegen und die Teilnahme an Supervisionsgruppen können dabei wertvolle Unterstützung bieten.
  5. Integration in bestehende Systeme
    Bei der Einführung des Sechs-Schritte-Modells in Organisationen oder Beratungspraxen ist eine systematische Integration in bestehende Strukturen und Prozesse wichtig. Dies umfasst sowohl technische Aspekte wie Dokumentationssysteme als auch kulturelle Aspekte wie die Akzeptanz durch Mitarbeiter und Klienten.

 

Fazit

Das Sechs-Schritte-Modell hat sich als wertvolles Instrument für die strukturierte Konfliktbearbeitung etabliert und bietet sowohl in der Mediation als auch im Coaching einen bewährten Rahmen für nachhaltige Problemlösungen. Seine Stärke liegt in der systematischen Herangehensweise, die Orientierung bietet und die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Konfliktlösungen erhöht. Gleichzeitig erfordert die professionelle Anwendung eine fundierte Ausbildung und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Reflexion und Anpassung an die jeweilige Situation.

© 2025 Frank Hartung Ihr Mediator bei Konflikten in Familie, Erbschaft, Beruf, Wirtschaft und Schule

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